Wer früher ein Fahrrad erwerben wollte, weil er Sport zu treiben beabsichtigte oder Holländer mit Fernweh war, marschierte schnurstracks zum nächsten Sportartikelhändler oder Fachgeschäft, besah sich eines der ausgestellten Exponate und kaufte es.
Dieses über viele Jahrzehnte erprobte Geschäftsmodell erwies sich jedoch als viel zu einfach für den Kunden, weshalb es in den letzten Jahren einigen wichtigen Änderungen unterzogen wurde.
Der Begriff des „Fahrrads“ gilt bei Händlern als ausgestorben, ja, anstößig oder gar blasphemisch. Vereinzelt sollen in ländlichen Gebieten potenzielle Fahrradkäufer von erbosten Verkäufern mit Weihwasser besprenkelt worden sein. Wer heutzutage beim Sportartikelhändler nach einem Fahrrad fragt, wird vom jüngeren Personal einen verwirrten Blick erhalten: „Wie heißt das? Fahrrad? Moment, da muss ich erst googeln.“
Der Grund hierfür ist der Siegeszug der City-, Mountain, - Trekking-Bikes, und welche neoanglizistischen Begriffe es noch geben mag. Gewiss: Auf den ersten Blick muten alle diese technischen Wunderwerke wie Fahrräder an – zwei Räder, Sattel, Lenker -, doch die Raffinesse liegt im Detail.
„Aha. Fahrrad. Wofür brauchen Sie es denn?“, tönt es da schon einmal freundlich aus dem lässig kaugummikauenden Mund.
Die schüchterne Antwort: „Na ja, zum Fahren halt“ wird dem Verkäufer ein breites Grinsen entlocken, denn soeben haben Sie sich als lebendes Fossil, als Anachronismus in dieser schnelllebigen Zeit entlarvt.
So zutreffend Ihre Antwort auch sein mag, so grenzenlos naiv ist sie.
Immerhin gilt es sich Gedanken darüber zu machen, was Sie mit Ihren High-Tech-Fahrrad anzustellen gedenken. Ab und zu einmal Brötchen vom Bäcker drei Blocks weiter holen? Am Fußgängerweg Passanten erschrecken? Auf dem Hinterrad fahrend den Montblanc hochradeln?
Das ist eine enorm wichtige Entscheidung, die Sie vor dem Kauf gründlich überlegen müssen. Mit einem Trekkingbike können Sie nicht einfach Wurst vom „Spar“ holen, ich bitte Sie! Dafür gibt es schließlich Citybikes.
Umgekehrt wiederum werden Schnappschüsse von Ihnen auf dem Citybike die Runde im Internet machen, wenn man Sie auf einer Bergstraße knippst.
Ebenfalls nicht zu unterschätzen sind Grundsatzfragen wie jene nach der Geschwindigkeit, mit der Sie Ihr Leichtmetallgefährt lenken wollen. Ja, früher gab es maximal drei Gänge, heute sind zehn nur noch was für Luschen und Lauwarm-Duscher.
Drei Gänge? Wie armselig ist das denn? Jeder mitleidige Verkäufer wird Ihnen einen Satz Stützräder empfehlen.
Zehn Gänge? Da können Sie ja gleich Sohnemanns Tretauto benutzen.
Nein, der echte Fahrradfahrer, pardon, Mountainbiker würdigt kein Rad unter zwanzig Gängen auch nur eines Blickes. Natürlich sind nur Radprofis imstande, mit dem zwanzigsten Gang eine Steigung zu erklimmen, aber darum geht es ja auch gar nicht. Es geht darum zu zeigen, dass man kein Hinterwäldler und Fortschrittsverweigerer ist.
Und als solcher benötigen Sie selbstverständlich auch die richtige Klingel. Schön, früher reichte einfaches Gebimmel völlig aus, aber stellen Sie sich vor, ein Airbus nimmt ihnen den Vorrang. Ja, Mensch, da benötigen Sie doch eine lasergesteuerte Schiffshornglocke!
Und heulen Sie bloß nicht wegen des Preises herum: Dafür erhalten Sie einen Gutschein der Sie berechtigt, hundert Klingeltöne gratis downzuloaden – vom furzenden Eichhörnchen bis hin zum neuesten Hit von Scooter (zugegeben: nur Experten können den einen vom anderen Klingelton überhaupt unterscheiden).
Schreiben Sie sich deshalb meinen Rat hinter Ohren: Fahrradkauf ist eine ernste Angelegenheit, die in all ihren Facetten und Tragweiten gut bedacht werden will. Und wenn Sie Ihr dreitausend Euro teures Superleichtbau-Trekkingrad mit Zwanzig-Gang-Shimanoschaltung, ABS, Turbobeschleunigungsbremsen und Laptop-Halterung gegen eine völlig überraschend vor Ihnen auftauchende Erle gelenkt haben ziehen Sie die Konsequenzen und gehen Sie lieber wieder zu Fuß.
Oder kaufen Sie sich Rollschuhe. Äh, Rollerskates, meinte ich natürlich …