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29. Juli 2008 2 29 /07 /Juli /2008 12:31

Wer früher ein Fahrrad erwerben wollte, weil er Sport zu treiben beabsichtigte oder Holländer mit Fernweh war, marschierte schnurstracks zum nächsten Sportartikelhändler oder Fachgeschäft, besah sich eines der ausgestellten Exponate und kaufte es.

Dieses über viele Jahrzehnte erprobte Geschäftsmodell erwies sich jedoch als viel zu einfach für den Kunden, weshalb es in den letzten Jahren einigen wichtigen Änderungen unterzogen wurde.

Der Begriff des „Fahrrads“ gilt bei Händlern als ausgestorben, ja, anstößig oder gar blasphemisch. Vereinzelt sollen in ländlichen Gebieten potenzielle Fahrradkäufer von erbosten Verkäufern mit Weihwasser besprenkelt worden sein. Wer heutzutage beim Sportartikelhändler nach einem Fahrrad fragt, wird vom jüngeren Personal einen verwirrten Blick erhalten: „Wie heißt das? Fahrrad? Moment, da muss ich erst googeln.“

Der Grund hierfür ist der Siegeszug der City-, Mountain, - Trekking-Bikes, und welche neoanglizistischen Begriffe es noch geben mag. Gewiss: Auf den ersten Blick muten alle diese technischen Wunderwerke wie Fahrräder an – zwei Räder, Sattel, Lenker -, doch die Raffinesse liegt im Detail.
„Aha. Fahrrad. Wofür brauchen Sie es denn?“, tönt es da schon einmal freundlich aus dem lässig kaugummikauenden Mund.
Die schüchterne Antwort: „Na ja, zum Fahren halt“ wird dem Verkäufer ein breites Grinsen entlocken, denn soeben haben Sie sich als lebendes Fossil, als Anachronismus in dieser schnelllebigen Zeit entlarvt.

So zutreffend Ihre Antwort auch sein mag, so grenzenlos naiv ist sie.
Immerhin gilt es sich Gedanken darüber zu machen, was Sie mit Ihren High-Tech-Fahrrad anzustellen gedenken. Ab und zu einmal Brötchen vom Bäcker drei Blocks weiter holen? Am Fußgängerweg Passanten erschrecken? Auf dem Hinterrad fahrend den Montblanc hochradeln?

Das ist eine enorm wichtige Entscheidung, die Sie vor dem Kauf gründlich überlegen müssen. Mit einem Trekkingbike können Sie nicht einfach Wurst vom „Spar“ holen, ich bitte Sie! Dafür gibt es schließlich Citybikes.
Umgekehrt wiederum werden Schnappschüsse von Ihnen auf dem Citybike die Runde im Internet machen, wenn man Sie auf einer Bergstraße knippst.

Ebenfalls nicht zu unterschätzen sind Grundsatzfragen wie jene nach der Geschwindigkeit, mit der Sie Ihr Leichtmetallgefährt lenken wollen. Ja, früher gab es maximal drei Gänge, heute sind zehn nur noch was für Luschen und Lauwarm-Duscher.
Drei Gänge? Wie armselig ist das denn? Jeder mitleidige Verkäufer wird Ihnen einen Satz Stützräder empfehlen.
Zehn Gänge? Da können Sie ja gleich Sohnemanns Tretauto benutzen.
Nein, der echte Fahrradfahrer, pardon, Mountainbiker würdigt kein Rad unter zwanzig Gängen auch nur eines Blickes. Natürlich sind nur Radprofis imstande, mit dem zwanzigsten Gang eine Steigung zu erklimmen, aber darum geht es ja auch gar nicht. Es geht darum zu zeigen, dass man kein Hinterwäldler und Fortschrittsverweigerer ist.

Und als solcher benötigen Sie selbstverständlich auch die richtige Klingel. Schön, früher reichte einfaches Gebimmel völlig aus, aber stellen Sie sich vor, ein Airbus nimmt ihnen den Vorrang. Ja, Mensch, da benötigen Sie doch eine lasergesteuerte Schiffshornglocke!
Und heulen Sie bloß nicht wegen des Preises herum: Dafür erhalten Sie einen Gutschein der Sie berechtigt, hundert Klingeltöne gratis downzuloaden – vom furzenden Eichhörnchen bis hin zum neuesten Hit von Scooter (zugegeben: nur Experten können den einen vom anderen Klingelton überhaupt unterscheiden).

Schreiben Sie sich deshalb meinen Rat hinter Ohren: Fahrradkauf ist eine ernste Angelegenheit, die in all ihren Facetten und Tragweiten gut bedacht werden will. Und wenn Sie Ihr dreitausend Euro teures Superleichtbau-Trekkingrad mit Zwanzig-Gang-Shimanoschaltung, ABS, Turbobeschleunigungsbremsen und Laptop-Halterung gegen eine völlig überraschend vor Ihnen auftauchende Erle gelenkt haben ziehen Sie die Konsequenzen und gehen Sie lieber wieder zu Fuß.

Oder kaufen Sie sich Rollschuhe. Äh, Rollerskates, meinte ich natürlich …

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Kommentare

Z
<br /> die Leute sollen keine Fahrräder (wie Licht, Reifen, Bremsen) und Sachen kaputt machen und nichts stehlen<br /> <br /> <br />
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R
<br /> <br /> Interessantes Konzept. Sollte man einmal ausprobieren!<br /> <br /> <br /> <br />
B
Und so richtige Pickel bekomme ich angesichts dieser Radrennlitfaßsäulen, und derer, die sich dafür halten, und die speziell an Wochenenden Landschaftsbilder jeglicher Art stören in ihren primärfarbenen Wurstpellen:<br /> Wollen die Leute radeln oder Verkleiden spielen?
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R
<br /> Tja, da sind diese Typen bei der Tour de France mächtig stolz, wenn sie das Gelbe, Gepunktete oder Pinke Trikot bekommen - ich sehe jeden Tag dutzende Radrennfahrer, die solche Trikots tragen.<br /> <br /> <br />
R
Natürlich braucht man eine Klingel - wie sonst soll man die Leute aufmerksam machen, dass ein Angeber mit teurem Rad kommt?
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É
Ich glaub, ich brauch ungedingt (noch) ein Radl - oops, sorry, citybike - wenn's nicht geht, dass ich mit dem MTB meien Einkäufe transportiere, auch wenn ich dabei ein paar Höhenmeter überwinden muss... <br /> Aber Klingel? Ich weiss nicht... bringt's das, wenn man die Leute warnt, bevor man sie zusammenfährt? ;-) Die paar Gramm kann man sich zwecks Gewichtsoptimierung doch sparen...<br /> <br /> nicole
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  • : Lexikon der bösen Gedanken
  • : In den letzten Jahren prasselten jede Menge Lexika auf uns ein. Manche mit ernstem Hintergrund (Gelderwerb der Autoren), andere sehr launig und nicht ganz ernst gemeint. Ausgerechnet das wichtigste Lexikon wurde uns bislang vorenthalten, nämlich jenes der bösen Gedanken, die wir nicht auszusprechen wagen. Dabei benötigten wir gerade ein solches Buch dringend, sehen wir uns doch täglich mit Situationen konfrontiert, die uns Contenance abverlangen, obwohl wir unseren Ärger nur zu gerne hinausschr
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